Rose Garden

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Je älter er wurde, desto radikaler wurde er.
Wen er mochte, den mochte er und für den tat er wahnsinnig viel.

Wen er nicht mochte, den verachtete er und manchmal hasste er ihn sogar.
All die Prominenten (echt oder Möchtegern), die im Fernsehen Reklame machten, vergällten ihm den Fernsehgenuß.
Wenn einer dieser Leute auf dem Bildschirm erschien, stieg sein Blutdruck auf 190 zu 120, zuckte sein Finger zur Fernbedienung und drückte unkontrolliert irgendeine Taste, um das verhasste Gesicht auch nicht den Bruchteil einer Sekunde länger sehen zu müssen.
Meistens wußte er noch nicht einmal, für welches Produkt der Promi gerade warb.
Telefon, Gummibärchen, Spinat, ...

Da er völlig allein lebte, konnte er das genauso tun, wie auch alles andere, was er so tun wollte.
Oft vergingen Wochen, bis jemand sich bei ihm meldete oder sich nach ihm erkundigte, wenn er sich nicht seinerseits bei irgendjemand bemerkbar machte, dass er noch lebte.

Genauso radikal wie mit seinen Freunden und seinem Fernsehgenuß war er auch in seinen musikalischen Neigungen.
Seine Lieblingslieder konnte er viele Male hintereinander spielen, ohne ihrer überdrüssig zu werden.
Ob Beatles ("Michelle", "In An Octopussy's Garden"), Rolling Stones ("Paint It Black"), Queen ("Bohemian Rhapsody"), Torfrock ("Preßlufthammer B-B-Bernhard") oder auch mal Country-Songs.

Selbstverständlich hatte er auch Songs, die er nicht mochte oder sogar richtig hasste.
Sie hatten dieselben Auswirkungen auf seinen Blutdruck wie die Fernsehreklame.
Beim Autofahren kam er schon manchmal fast von der Fahrbahn ab, wenn einer seiner "Haß-Songs" unerwartet gespielt wurde und er nicht schnell genug den Sender wechseln konnte.
"I'm A Tiger" von Lulu oder "I'm sorry" von Brenda Lee oder wem-auch-immer.
"What a wonderful world" von Louis "Satchmo" Armstrong, das sogar manchmal bei Reklame unterlegt wurde oder auch bei "stimmungsvollen" Naturaufnahmen.
Und ganz oben auf der Liste: "Rose Garden" von Lynn Anderson.
Er kaufte keine Hit-Sammlung auf CD's, in der sich dieser Song befand.
Und es gab viele solcher Sammlungen, auf denen sich dieser Song befand.
Und sehr oft auf einem der allerletzten Plätze versteckt.

- 2 -

Das Fernsehprogramm war an diesem Abend so langweilig wie es nicht langweiliger sein konnte.
Quizshows ("Wie lange dauerte der dreißigjährige Krieg? A - 15 Jahre, B - ...", "Wann lebte Gottfried von Bouillon? A - wenn er nichts anderes hatte, B- ...") und Ärzteserien ("Gute Sendezeit - Keine Schauspieler", "Für alle Unfälle - Sauf-Anni") in der x-ten Wiederholung jagten sich gegenseitig.
Er besann sich darauf, dass er auch noch Schallplatten besaß und als einer der letzten Deutschen einen funktionsfähigen Plattenspieler.
Blind griff er in den Stapel der Langspiel-Platten, entnahm mit geschlossenen Augen eine davon und legte sie mit nur halb geöffneten Augen auf den Plattenteller.
Er wollte nicht sehen, welche Platte es war.
Er wollte nur vermeiden, sie zu beschädigen.
Vorsichtig bewegte er den Tonarm nach außen, um den Plattenteller zu starten und legte ihn dann ganz vorsichtig in den Beginn der Rille, die die ganze Vorderseite durchlief.

Er legte sich gemütlich in seinen zum Schallplattensessel umfunktionierten Fernsehsessel und schloß die Augen.
Leise Guitarrenakkorde erklangen.
Ah, Country!
Genüßlich schloß er die Augen und gab sich der Platte hin, die er bestimmt vor einigen Jahren zuletzt gehört hatte.
Er geriet ins Träumen.
Johnny Cash, Merle Haggard und all die anderen gaben ihr Bestes, um ihm zu gefallen.

Sein Herz stand für zwei, drei Schläge still. Er zuckte hoch. Was jammerte ihm da entgegen?
"I never promised you a rose garden".
Er sprang so hastig und unkontrolliert auf, dass sein linker Fuß wegrutschte und er stürzte.
Sein rechter Arm stieß gegen den Plattenspieler.
Der Tonarm zerkratzte die Platte da, wo er gerade auflag.
Seine linke Schläfe stieß an die Tischkante.
Er fiel ins Koma.

Er war wohlgenährt und sein Körper konnte sich in diesem Zustand wohl längere Zeit von seinen Fettreserven ernähren.

Der Plattenspieler spielte weiter und weiter.
Bis zum Sprung und dann wieder zurück.
Immer wieder dieselbe Passage.
"I never promised you a rose garden"
"I never promised you a rose garden"
"I never promised you a rose garden"
"I never promised you a rose garden"
...

Man sagt, dass manche Menschen im Koma alles hören, was um sie herum vorgeht.

"I never promised you a rose garden"
"I never promised you a rose garden"
"I never promised you a rose garden"
...

E N D E

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